Unter den zahllosen Helden aus der Zeit der Tiroler Freiheitskämpfe stand Josef Speckbacher mit unter den ersten. Ja, was Kühnheit, rasche Erfassung der Lage und der zu treffenden Maßnahmen sowie Schlauheit anbelangt, suchte er seinesgleichen. In ihm steckten in Wahrheit Gaben, die einem richtiggehenden Feldherrn alle Ehre gemacht hätten, gepaart mit einer ungewöhnlichen persönlichen Tapferkeit und Kraft.
In der großartigen Natur des Gnadenwaldes wuchs dieser Held in ärmlichen Verhältnissen einer kinderreichen Kleinbauernfamilie zu St. Martin heran. Der Vater musste sich ordentlich schinden und abraggern, um die hungrigen Mägen seiner acht Kinder halbwegs zu füllen. Mit der Schulbildung des jungen Josef stand es nicht am besten, und erst in späteren Jahren musste er sich die nötigen Kenntnisse im Lesen und Schreiben aneignen. Noch als Knabe verlor er seine Eltern und musste nun trachten, sich durchs Leben zu bringen: Er besorgte durch Jahre hindurch das Geschäft eines Hirten und hatte so frühzeitig Gelegenheit, die Gegend kennenzulernen und über allerlei Dinge nachzudenken. Früh erwachte in ihm auch jene Leidenschaft, die man in Tirol auch heute noch antreffen kann, der unwiderstehliche Drang zum Wildern.
Herangewachsen, überragte Speckbacher die jungen Leute seiner Heimat und einer weiten Umgebung durch seine körperlichen und geistigen Vorzüge. Hoch und schlank gewachsen, ausgestattet mit feurigem Adlerblick und kühn geschwungener Adlernase, war er als der beste Robler weitum bekannt und als Wilderer gefürchtet. Gerade sein Hang zum Wildem führte ihn in die abgelegensten Teile des Hochgebirges hinein und verschaffte ihm Ortskenntnisse, die er später so unvergleichlich auch zu nützen verstand; diese Beschäftigung entwickelte in ihm auch die unerhörte Kühnheit. Mit 27 Jahren begründete Speckbacher durch die Heirat mit einer Bäuerin aus Rinn seinen eigenen Hausstand in diesem lieblich gelegenen Dorf. Durch seine Tüchtigkeit gewann sich der neue Bürger gar bald die Zuneigung und das Vertrauen der Gemeinde; auch der Umstand, dass Speckbacher die Stelle eines Aufsehers in der Sahne zu Hall versah, festigte seine wirtschaftliche Stellung. Da kamen die Stürme der Freiheitskriege, und in ihnen erglänzte der Mann von Rinn in besonders strahlendem Lichte: da konnte er seinem Vaterlande unschätzbare Dienste erweisen. Auf den Höhen von Spinges erhielt unser Held unter dem Kommando des Hauptmanns von Wörndle seine Feuertaufe. Im Jahre 1805 lernte er den Sandwirt gelegentlich eines Pferdemarktes in Sterzing kennen. In den nun folgenden Jahren der bayrischen Herrschaft zählte Speckbacher zu den eifrigsten Patrioten, und im Jahre 1809 war er der hervorragendste Waffengefährte des Sandwirtes.
Trotz allem Ungemach, das über das Land hereingebrochen war, verlor Speckbacher den Kopf nicht. Mit Hofer überdachte er den Gegenschlag gegen die Feinde und brachte ihn auch zur Ausführung in jenen berühmten Maitagen, da feindlicher Übermut sich an den Hängen des Bergisels unter dem Ansturm der von Hofer, Speckbacher und Haspinger geführten bäuerlichen Sturmscharen brach.
In den Augusttagen war Speckbacher in der Sachsenklemme, bei der Verfolgung der zurückflutenden Truppen des Feindes über den Brenner, endlich wieder als Kommandant des rechten Tiroler Flügels in der Bergiselschlacht hervorragend vertreten. Als dann in der zweiten Oktoberhälfte abermals eine noch größere feindliche Armee in unsere Berge einrückte, da stellte sich ihr Speckbacher mit geringer Macht bei Mellek nördlich vom Pass Strub entgegen und focht mit der Tapferkeit des Löwen, obwohl er gleich zu Beginn des Kampfes von allen Seiten umschlossen war; bereits blutete der Held aus mehreren Wunden und war schon von den Feinden, am Boden liegend, umringt; da entriss er sich in geradezu übermenschlicher Anstrengung den ihn umklammernden Feinden.
Speckbacher focht auch in der Bergiselschlacht am Allerheiligentag wieder als Führer des rechten Flügels; aber seine Erfolge konnten die allgemeine Niederlage nicht mehr aufhalten. Auch in den nun folgenden trüben Novembertagen hielt Speckbacher treu an Hofers Seite aus, bis er endlich unter dem Eindruck der allgemeinen Niederlage flüchten musste. Ein Preis von 700 Gulden sollte den Feinden den „Feuerteufel“ in die Hände liefern. Wie ein Wild gehetzt, musste Speckbacher von Sennhütte zu Sennhütte. Wegen des tiefen Schnees konnte Speckbacher an eine Flucht nach Österreich nicht denken. Fortwährend musste er seinen Aufenthaltsort wechseln. Durch Wochen musste er sich in einer Felsenkluft bei grimmiger Kälte und sehr spärlicher Nahrung aufhalten, da geriet er auch noch in eine Schneelawine; sie riss ihn in eine Schlucht hinunter. Mit verrenktem Hüftbein schleppte sich Speckbacher in siebenstündigem Marsch zu einem vertrauten Bauern, von wo man ihn heimlich auf seinen Hof in Judenstein brachte, hier verbrachte er wieder Wochen in der Düngergrube seines Kuhstalles; nicht einmal seine Familie durfte von dem Versteck des Helden wissen, das ihm der treue Knecht Zoppel bereitete; noch weniger aber hatten die in Speckbachers Haus einquartierten bayrischen Soldaten eine Ahnung davon, wie nahe der von ihnen gesuchte Feuerteufel ihnen sei. Endlich nach dem Abzug der feindlichen Truppen aus seinem Haus machte sich Speckbacher auf den Weg nach Österreich, wo er beim Kaiser freundliche Aufnahme fand.
Vom Kaiser mehrfach ausgezeichnet und zum Major ernannt, wartete Speckbacher sehnsüchtig auf den Tag, an dem Tirol 1814 wieder zu Österreich kam und kehrte sofort in die Heimat zurück. Seine Verdienste um die Befreiung des Landes fanden allseitige Anerkennung. Der Kaiser gewährte ihm eine Jahrespension von 1000 Gulden und ließ ihm 1815 vom Kreishauptmann in der Pfarrkirche zu Schwaz eine goldene Medaille und Kette überreichen. Der k. k. Professor an der Oberrealschule zu Innsbruck Ernst Kiechl berichtet uns 1912 in der Jahrhundertgabe für das Volk „Anno Neun“ im Band über „Speckbacher“ weiter:
Nur mehr zu freudigen Gelegenheiten zog Speckbacher seinen Säbel. Im Oktober des Jahres 1816 reiste Kaiser Franz nach Italien. Während seines Aufenthaltes in Innsbruck, den die treuen Tiroler so festlich als möglich gestalteten, führte Speckbacher dem Monarchen ein Aufgebot von 10.000 Schützen vor. Vor all diesen Tausenden von braven Tirolern wurde Speckbacher vom Kaiser geehrt. In huldvollster Weise belobte er ihn ob seines Mutes und seiner Tapferkeit. Und noch einmal, ein Jahr später, als der Kaiser zur Entgegennehme der Huldigung Tirols nach Innsbruck kam, führte Speckbacher das Oberkommando über die ausgerückten Schützen.
Den schier eisernen Mann hatten die Verwundung bei Mellek und die weiteren Schicksalsschläge körperlich und geistig gebrochen. So gerne er arbeitete, so energisch er die Bewirtschaftung seines Gutes wieder in die Hand genommen hatte, er konnte der schweren Arbeit eines Landmannes nicht mehr nachkommen. Er verkaufte deshalb sein Gut und zog mit Gattin und Kindern nach Hall.
Jahre der Ruhe und Zufriedenheit lebte noch der wackere Mann im Kreise seiner Familie, aber es waren nicht mehr viele Jahre, die das Schicksal ihm beschieden hatte. Eine tückische Nierenkrankheit, die die Ärzte auf die bei Mellek erhaltenen Kolbenstöße zurückführten, beendete sein Leben am 28. März des Jahres 1820. Der Mann von Rinn, der Bauernführer, fand eine allzeit dankbare Nachwelt. Das beweist die übergroße Zahl von Trauergästen, die ihm das letzte Geleit zum Friedhof von St. Nikolaus in Hall gab, das beweist die bewundernd ergebene Jetztzeit.
Seine Ruhestätte ward dem Helden zunächst an der Pfarrkirche zu Hall. Der Denkstein dortselbst führte folgende Inschrift:
Im Kriege wild, doch menschlich auch, Im Frieden still und den Gesetzen treu, War er als Krieger, Untertan und Mensch, Der Ehre und der Liebe wert.
1858 wurden über Anordnung Kaiser Franz Josephs die Gebeine des Helden exhumiert und an der Seite Andreas Hofers in der Hofkirche zu Innsbruck beigesetzt. Die ursprüngliche Inschrift, die inzwischen entfernt wurde, da für alle Freiheitskämpfer eine einheitliche Marmortafel angebracht wurde, hatte folgenden Wortlaut:
Josef Speckbacher k. k. Landesschützen-Major
geb. im Gnadenwald 13. Juli 1767
gest. zu Hall 28. März 1820
unter den treuen Kämpfern des Jahres 1809 hervorragend durch rastlose Tapferkeit. Die Gnade des Kaisers Franz Joseph I. gab ihm eine ehrende Ruhestätte bei seinen Kampfgenossen Hofer und Haspinger.
Das Andenken an den ruhmreichen Helden pflegen in erster Linie die Speckbacher-Schützenkompanien im Bezirk Hall.